Nachwuchsprobleme, Guggenschwemme und Wartelisten

fasnacht

Tradition geniesst bei der Basler Fasnacht einen hohen Stellenwert. Viele Aspekte scheinen absolut unantastbar, weil «schon immer so gewesen», und doch zeigt ein Blick auf die letzten 100 Jahre: Die Basler Fasnacht ist alles andere als beständig, sondern hat sich mehrfach stark gewandelt und verändert sich auch heute noch weiter.

Die einzige grosse Konstante ist die Anzahl Stammcliquen, bei der in den letzten 40 Jahren praktisch alles beim Alten geblieben ist. 1976 hatten 37 Cliquen den Stamm-Status, bestanden also mindestens aus 15 Pfeifern, 15 Tambouren und zehn Leuten im Vortrab und unterhielten eine eigene junge Garde, im letzten Jahr waren es 38. 2016 sind es zwei weniger, weil die «Wiehlmys» und die «Versoffene Deecht» ihren Status verlieren.

Ein heiteres Kommen und Gehen hingegen herrscht bei den Pfeifer- und Trommelgruppen, wie die Analyse der bz im Staatsarchiv zeigt. Dort werden die Fasnachtsführer der letzten 100 Jahre aufbewahrt, fein säuberlich sortiert und zusammen mit bündelweise Zeedeln in Kartonschachteln verstaut. In den seit über 100 Jahren vom Comité herausgegebenen Fasnachsführern sind jeweils sämtliche Fasnachtseinheiten aufgeführt. 1939 – der Rädäbäng hiess damals noch «Offizieller Führer» und die Fasnacht «Fastnacht», haben beispielsweise noch keine Pfeifer- und Trommelgruppen am Cortège teilgenommen, ist da zu lesen. 50 Jahre später, 1988, waren es 136 Einheiten. Wenn am Montag in Basel die «drey scheenschte Dääg» beginnen, marschieren nur noch 65 beim Comité gemeldete P.&T.-Gruppen mit.

Einen fast kometenhaften Aufstieg haben die Guggenmusiken hingelegt. Der Fasnachtsführer von 1946, der nicht mehr «Führer» und noch nicht «Rädäbäng», sondern «Aendlig» hiess (und 50 Centime kostete), listet 7 «Musiken». Heute sind es 59, wobei dies weniger sind als in den 1990ern, als bis zu 72 Guggen am Cortège teilnahmen. Die Annahme vieler Fasnachtsfans, dass «immer mehr Guggen mitlaufen», ist also nicht richtig – es scheint sogar, dass deren Blütezeit vorbei ist.

Von einem Guggen-Sterben wollen die Verantwortlichen der Guggen-IGs allerdings nichts wissen, aber Stephanie Weikard, Obfrau FG-Gugge Basel, bestätigt, dass die Anzahl Guggen abnimmt. «Besonders die kleineren Guggen leiden darunter, dass sie in vielen Beizen nicht mehr willkommen sind. Auf der Strasse sind sie zu klein, um richtig zu wirken. Deshalb lösen sie sich auf und die Mitglieder schliessen sich grösseren Guggen an.» Und Patrick Müller, Obmann der Gugge-IG-Basel, führt die Abnahme auf das grössere Angebot an Vereinen und die vielschichtigere Freizeitgestaltung bei Jugendlichen zurück.

Wartelisten für Wagencliquen

Keine grösseren Nachwuchsprobleme haben die Wagen-Cliquen. Deren Anzahl ist seit den 40er-Jahren ebenfalls stetig angestiegen, bis Mitte 90er mit 124 Einheiten das Maximum erreicht war. Das Comité hat damals beschlossen, künftig nicht mehr als 120 Wagen zuzulassen. «Seither existiert eine Warteliste», sagt Roger Borgeaud, Obmaa der Interessengemeinschaft der Wagencliquen Basel. «Aktuell sind fünf, sechs Interessenten auf der Warteliste, es waren aber auch schon mehr.» Wichtiger als die Quantität sei der IG aber sowieso die Qualität der Wagen, weshalb vor drei Jahren die Auszeichnung «s goldige Räppli» lanciert worden sei. «Damit wollen die Wagen-Cliquen anspornen, ihre Sujets noch aufwendiger umzusetzen und nicht nur die Wagen von Jahr zu Jahr neu zu streichen.»

Der Abstieg der Einzelmasken

Akut vom Aussterben bedroht sind die offiziell registrierten Einzelmasken an der Basler Fasnacht. Als Einzelmaske bezeichnet man eine kostümierte Person, die ohne Instrument und im Gegensatz zu den Grüppli alleine unterwegs ist. Im Jahre 1954 listete der Rädäbäng stolze
60 Einzelmasken namentlich auf, heute sind es nur noch 10. Bei fast 11 000 Aktiven traut sich also nur knapp jeder Tausendste alleine auf die Strasse.

Allerdings zeigt der Blick in die 100 letzten Rädäbäng-Ausgaben, dass sich die Einzelmasken seit Jahrzehnten erfolgreich gegen das Aussterben wehren. 1976 waren es nur noch sieben, die offiziell angemeldet waren, 15 Jahre später wieder mehr als zwei Dutzend.

Seither pendelt die Anzahl zwar auf tiefem Niveau, aber mit einer erstaunlichen Konstanz um die zehn, fünfzehn Personen. Es ist schwierig, etwas über sie zu erfahren, verstecken sie sich doch auch im Rädäbäng 2016 hinter Pseudonymen wie «Gellert-Strizzi», «Griespfluutte» oder «Fide-Blüttler».

Rädäbäng: Von 20 Rappen auf 8 Franken

Der Fasnachtsführer hat 1911 noch 20 Rappen gekostet. Dafür war «ein voller Griff ins Portmenee» nötig, wie das Comité selbst schrieb. Appelliert wurde auf die «Wunderfitzigkeit der Leser»,die im Zugs-Verzeichnis, so hiess der Rädäbäng damals, alles über «die Klaine und die Grosse» Fasnachtseinheiten erfahren konnten. Bis in die 50er-Jahre blieb der Preis für den Fasnachtsführer unter einem Franken, danach verharrte er lange auf einem respektive zwei Franken. Einen horrenden Preisanstieg gab es in den 80er- und 90er-Jahren zu verkraften, als sich der Rädäbäng-Preis innert elf Jahren von vier auf acht Franken verdoppelte. Seither ist der Verkaufspreis bis heute konstant geblieben – die Frage stellt sich also, ob die Comité-Publikation demnächst erstmals die 10-Franken-Marke knackt.

Die Preise im Allgemeinen sind gemäss Bundesamt für Statistik seit 1915 in der Schweiz um 809 Prozent gestiegen. Der damalige Preis von 20 Rappen entspricht demnach heute Fr. 18.20.

Die Alten Garden und der Bevölkerungswandel

2001 war ein historisches Jahr: Damals nahmen erstmals mehr Alte Garden am Cortège teil als Stammcliquen. 2016 marschieren 40 Alti Garden mit, im Jahr zuvor waren es sogar 41. Noch 1963 kam auf drei Stammcliquen nur eine Alte Garde, in den 40er-Jahren waren es gar nur eine Handvoll. Vor 1934 listete der Fasnachtsführer gar keine entsprechenden Einträge auf. Den Alten Garden steht gemäss Bevölkerungsprognose des Bundesamts für Statistik eine blühende Zukunft bevor, denn bereits deren Zunahme in der Vergangenheit scheint direkt mit der Bevölkerungsentwicklung zusammenzuhängen. So hat sich innert fünfzig Jahren die Zahl der über 65-Jährigen und Älteren versechsfacht. Heute kommen in der Schweiz auf eine Person im Rentenalter 4 Personen im erwerbsfähigen Alter – zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte dieses Verhältnis noch 1 zu 10 betragen. Dies wird sich gemäss Prognosen weiter akzentuieren, wenn die Babyboom-Generationen in die höheren Altersklassen eintreten.

Autor: Samuel Hufschmid

Jounalist bei bz Basel, Papi, Organisator Swiss Kubb Open, mit Interesse an Datenjournalismus.

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